Das großformatige Gemälde Beerdigung von Gerhard Richter zeigt die Beisetzung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, Terroristen der Rote-Armee-Fraktion (RAF), zu der sich am 27. Oktober 1977 tausende Sympathisanten, Mitstreiter, Journalisten und Schaulustige am Stuttgarter Dornhaldenfriedhof einfanden[1]. Dieses Gemälde basiert auf einem Standbild aus Filmmaterial, das Fernsehkameras am Tag der Beerdigung filmten[2], wobei Richter eine Aufnahme auswählte, die das Geschehen aus einigem Abstand zeigt[3].
In der Mitte des Bildes sind die drei hellen Särge zu sehen, in denen Baader, Ensslin und Raspe zu Grabe getragen werden. Ihr Weg wird von einer großen Menschenmenge gesäumt, die im Hintergrund von einer Baumreihe begrenzt wird. Nur rechts im Vordergrund sind einzelne Personen auszumachen, deren Gesichter aber weiterhin verschwommen bleiben. Im Gegensatz zum statischen Originalfoto bringt Richter mithilfe der horizontalen Verwischungen Bewegung in das Gemälde. Diese gemalte Bewegungsunschärfe betont den zeitlichen Verlauf des Geschehens, durch den das Bildmotiv charakterisiert ist. Da ist zum einen die Sargprozession an sich, die eine äußere Bewegung vorgibt, und zum anderen der Prozess des innerlichen Abschiednehmens[4]. Die Menschen in der Menge werden durch diese Verwischungen zudem zu einer einförmigen grauen Masse verklärt, die sich um die Särge zu drehen scheint. Dies wird durch die niedrige Horizontlinie noch unterstützt[5].
Das Gemälde Beerdigung wird häufig herangezogen, um Gerhard Richters Auseinandersetzung mit der Historienmalerei zu verdeutlichen. Als größtes Bild des Zyklus 18. Oktober 1977 erfüllt es wie kein anderes Gemälde ein formales Kriterium der althergebrachten Historienmalerei[6], allerdings überträgt Gerhard Richter diese in die Gegenwart. Im Unterschied zur traditionellen Historienmalerei, in der Helden wichtiger historischer, selten aber zeitgenössischer Ereignisse, dargestellt werden, zeigt Richter die Beerdigung gescheiterter Terroristen. Wurden traditionellerweise die Ereignisse detailliert wiedergegeben, verwischt Gerhard Richter diese. Wo normalerweise eine klare Verherrlichung oder Legitimierung des Staates erfolgt, werfen Richters Werke eher Fragen auf. Das Gemälde erfüllt nicht den Zweck der detaillierten Abbildung eines Geschehens oder der Kreation einer historischen Wahrheit, stattdessen soll an ein bestimmtes Ereignis erinnert werden und das damit einhergehende Gefühl der Trauer und des Abschieds in den Mittelpunkt gerückt werden[7].
Gleichzeitig mit den drei Terroristen scheinen auch deren Ideologie und Weltanschauung zu Grabe getragen zu werden[8]. Für Gerhard Richter verdeutlichen auch die anderen Bilder des Zyklus, besonders aber dieses, eine Form des Abschiednehmens: „Die Bilder sind auch ein Abschied und dies in vielerlei Richtungen. Der Sache nach: diese bestimmten Personen sind tot; dann ganz allgemein: Tod ist Abschied schlechthin. Dann im ideologischen Sinn: Abschied von einer bestimmten Heilslehre und darüber hinaus Abschied von der Illusion, unakzeptable Lebensumstände in dieser konventionell kämpferischen Form ändern zu können.'[9]
[1] Ortrud Westheider: Eine Idee, die bis zum Tod geht. Der Zyklus “18. Oktober 1977”. In: Uwe M. Schneede (Hg.): Gerhard Richter. Bilder einer Epoche. [Ausst.-Kat.] Bucerius Kunst-Forum, München, 2011. S. 161.
[2] Robert Storr (Hg.): Gerhard Richter. October 18, 1977. The Museum of Modern Art, New York, 2000. S. 149.
[3] Westheider 2011, S. 161.
[4] Martin Henatsch: Gerhard Richter – 18. Oktober 1977. Das verwischte Bild der Geschichte. kunststück. Fischer, Frankfurt (Main), 1998. S. 81.
[5] Storr 2000, S. 109.
[6] Kai-Uwe Hemken: Gerhard Richter 18. Oktober 1977. insel, Frankfurt (Main), Leipzig, 1998. S. 91.
[7] Storr 2000, S. 121 ff.
[8] Hemken 1998, S. 91.
[9] Notizen 1989. In: Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008. S. 221 f.
Notiz erstellt von der Redaktion
The Museum of Modern Art (MoMA), New York, USA
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