October 1977baader Meinhof

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Anfang der 60er Jahre, von der DDR kommend, weigerte ich mich natürlicherweise, Verständnis für die Ziele und Methoden der RAF aufzubringen. Ich war zwar von der Energie, von dem kompromisslosen Willen und dem absoluten Mut der Terroristen beeindruckt, aber ich konnte dem Staat seine Härte nicht verdenken; Staaten sind so, und ich hatte andere, erbarmungslosere erlebt. Der Tod der Terroristen und alle damit in Zusammenhang stehenden Geschehnisse davor und danach bezeichnen eine Ungeheuerlichkeit, die mich betraf und mich, auch wenn ich sie verdrängte, seitdem beschäftigte, wie etwas, was ich nicht erledigt hatte.

Notizen November 1988 (für die Pressekonferenz Februar 1989 – Museum Haus Esters, Krefeld), 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Diese Bilder lassen möglicherweise Fragen nach der politischen Aussage oder nach der geschichtlichen Wahrheit aufkommen. Beides interessiert mich hier nicht. Und obwohl wahrscheinlich nicht einmal meine Motivation für die Bilder von Belang ist, versuche ich, sie hier zu benennen, als eine quasi parallel zu den Bildern laufende verbale Artikulierung meiner Betroffenheit und Meinung.

Notizen November 1988 (für die Pressekonferenz Februar 1989 – Museum Haus Esters, Krefeld), 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Die politische Aktualität meiner Oktober-Bilder interessiert mich so gut wir gar nicht; sie ist in vielen Besprechungen das erste oder das einzige, was bewegt, und je nach den akuten politischen Verhältnissen werden die Bilder so oder so rezipiert, das empfinde ich eher als störend.

Notizen 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Ich wollte was anderes sagen: Die Bilder sind auch ein Abschied und dies in vielerlei Richtungen. Der Sache nach: diese bestimmten Personen sind tot; dann ganz allgemein: Tod ist Abschied schlechthin. Dann im ideologischen Sinn: Abschied von einer bestimmten Heilslehre und darüber hinaus Abschied von der Illusion, unakzeptable Lebensumstände in dieser konventionell kämpferischen Form ändern zu können (diese Art revolutionären Denkens und Handelns ist vergeblich, passé).

Notizen 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Und dann hat die Arbeit natürlich auch für mich selbst einen einschneidenden Abschiedscharakter; sie beendet meine in den 60er Jahren begonnene Arbeit (Bilder nach Schwarz-weiß-Fotos) in der Form einer komprimierten Zusammenfassung, die kein Weitergehen mehr zulässt. Und damit ist das ein Abschied von meinem Denken und Fühlen in sehr grundsätzlicher Form. Dabei handelt es sich natürlich nicht um einen bewussten Akt, sondern um das quasi automatisch ablaufende Geschehen von Zusammenbruch und Umbildung, das ich stets nur nachträglich wahrnehmen kann.

Notizen 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Warum haben Sie sich entschlossen, die Baader-Meinhof-Gruppe zu malen?
Es gab kein spezielles Ereignis, das zu dieser Entscheidung geführt hätte. Ich hatte ein paar Fotos gesammelt, und die Idee hatte ich schon lange im Kopf. Sie nahm in meinen Gedanken mehr und mehr Raum ein, bis der Punkt kam, an dem ich sagte: „Ich muss das malen.‟ Ich komme aus Ostdeutschland und bin kein Marxist, und da hatte ich natürlich damals keinerlei Sympathie für ihre Überzeugungen, die Ideologie, für die diese Leute standen. Ich verstand sie nicht, aber trotzdem war ich beeindruckt. Wie alle war ich ergriffen. Es war ein wichtiger Augenblick für Deutschland.

Interview mit Gregorio Magnani 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Aus ihren Bildern spricht Mitleid für die Baader-Meinhof-Leute.
Es ist Trauer, aber ich hoffe, man sieht, dass es Trauer um Menschen ist, die so jung gestorben sind, für nichts. Ich respektiere sie, auch ihre Wünsche und die Kraft ihrer Wünsche. Weil sie versucht haben, etwas gegen die Dummheit der Welt zu tun.

Interview mit Gregorio Magnani 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Eigentlich habe ich gerade die nicht-malbaren Bilder gemalt. Die Toten. Ich wollte ja anfangs mehr das ganze Problem, diese Wirklichkeit von damals, das Lebendige malen – also ich hatte eher an etwas Großes, Umfassendes bei dem Thema gedacht. Dann hat sich das aber ganz anders entwickelt, eben zum Tod hin. Und das ist eigentlich gar nicht so unmalbar, im Gegenteil, Tod und Leid waren ja immer ein Thema der Kunst. Es ist ja sowieso das Thema, das haben wir uns erst heute abgewöhnt, mit unserer netten Lebensweise.

Gespräch mit Jan Thorn-Prikker über den Zyklus 18. Oktober 1977 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Dann wären die RAF-Toten für Sie Opfer ihrer Ideologie?
Ja sicher. Aber eben nicht Opfer einer ganz bestimmten Ideologie von links oder rechts, sondern von ideologischem Verhalten allgemein. Das hat eher zu tun mit dem immerwährenden menschlichen Dilemma, ganz allgemein: revolutionieren und scheitern

Gespräch mit Jan Thorn-Prikker über den Zyklus 18. Oktober 1977 1989, 1989 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Das waren Pressefotos.
Ja, die waren aus dem Stern, Spiegel und aus Büchern. Wissen Sie, ich hatte eigentlich vor, es viel breiter zu machen, und wunderte mich dann selbst, dass ich es reduziert habe auf die Toten, auf den letzten Moment. Ich wollte das Thema eigentlich viel breiter anlegen. Mehr aus dem Leben, aus der aktiven Zeit dieser Leute malen, aber das hat gar nicht geklappt, und das versuchte ich dann gar nicht zu malen.

Interview mit Stefan Weirich über den Zyklus 18. Oktober 1977, 1993, 1993 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Wie schätzen Sie das spezielle Interesse der Amerikaner an der deutschen RAF-Thematik ein und generell die Wirksamkeit politischer Kunst im konservativen Amerika?
Vielleicht sehen die Amerikaner auf Grund ihrer Distanz zur RAF eher das Allgemeine des Themas, das fast jedes moderne oder auch unmoderne Land betrifft: die generelle Gefahr von Ideologiegläubigkeit, von Fanatismus und Wahnsinn. Das ist doch für jedes Land aktuell, also auch für die USA, die Sie hier so leichthin als konservativ bezeichnen. – Ich kann aber auch noch einen direkten Bezug sehen zwischen Amerika und RAF, und zwar nicht nur den Vietnamkrieg, gegen den 1968 Baader und Ensslin protestieren, indem sie mehrere Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäuser legten; einen Bezug sehe ich auch in der amerikanischen Prägung der Haltung und des Lebensgefühls der sogenannten 68er. Selbst deren Antiamerikanismus war ja nicht nur Reaktion auf den amerikanischen Einfluss, sondern war zum Großteil Import aus Amerika.

Interview mit Hubertus Butin 1995, 1995 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Ich werde die Bilder nicht nach New York geben, weil ich über mangelndes deutsches Interesse enttäuscht bin, sondern weil mich das MoMA gefragt hat und weil ich es für das beste Museum der Welt halte.

Interview mit Hubertus Butin 1995, 1995 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Können Sie noch etwas darüber sagen, wie Sie die Auswahl der Photos vorgenommen haben und wie es zu dieser Schachtelung der Zeiten und der Geschehen gekommen ist?
Ich weiß noch, dass ich dachte, alle diese sensationellen Photos unbedingt vermeiden zu müssen, die Erhängte, der Erschossene usw. Ich sammelte sehr viel Material, auch viele banale, belanglose Photos und bin dann im Lauf dieser Arbeit auf genau die Bilder gekommen, die ich eigentlich vermeiden wollte, die also die ganz vielfältigen Geschichten auf den Punkt brachten.

Über Pop, Ost-West und einige der Bildquellen. Uwe M. Schneede im Gespräch mit Gerhard Richter, 2010 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Können Sie sagen, was es gewesen sein mag, das Sie gerade 1988 dazu gebracht hat, den Mut zu diesem Zyklus aufzubringen?
Da musste sicherlich über die Jahre hinweg so viel zusammenkommen, anwachsen an Erfahrungen allgemeiner und persönlicher Art, damit so eine Idee und der Entschluss entsteht und dann auch realisiert wird.

Über Pop, Ost-West und einige der Bildquellen. Uwe M. Schneede im Gespräch mit Gerhard Richter, 2010 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

Und was die RAF selbst anging?
Über die war ich erschrocken, und mit Staunen nahm ich die unglaubliche Verblendung wahr, mit der da unsere böseste und grausamste Seite zum Vorschein gebracht wurde. Aber das Erschreckendste für mich waren die Sympathien, die diesen Besessenen entgegengebracht wurden. So sind wir halt –

Über Pop, Ost-West und einige der Bildquellen. Uwe M. Schneede im Gespräch mit Gerhard Richter, 2010 QUELLE
Gerhard Richter: Text. Writings, Interviews and Letters 1961–2007, Thames & Hudson, London, 2009, p. 14

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