Das Gemälde zeigt den Plattenspieler Andreas Baaders, Mitglied der Führungsriege der Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion (RAF), der zusammen mit verschiedenen Schallplatten zur Ausstattung seiner Zelle im Gefängnis Stuttgart-Stammheim gehörte und in dem die Pistole versteckt war, mit der er sich erschoss. Plattenspieler wurde nach einer Polizeifotografie gemalt, die im Rahmen der Tatortsicherung entstand[1].
Von oben blickt man auf das leicht versetzt in einer Ecke auf dem Fußboden stehende Gerät, das von Kabeln und einer Steckdosenleiste umgeben ist. Der durchsichtige Deckel gibt den Blick auf eine Schallplatte mit hellem Etikett frei.
Plattenspieler ist eines der Gemälde des Zyklus 18. Oktober 1977, die sich auf die Person Andreas Baaders und seine persönlichen Gegenstände beziehen. Zusammen mit dem Bild Zelle [WVZ: 670] wird dem Werk daher zum Teil Portraitcharakter zugesprochen, da beide die Persönlichkeit Baaders durch seine Besitztümer illustrieren und einen Gegenpol zu den Darstellungen des toten Baader in Erschossener 1 und 2 [WVZ: 669/1-2] bilden[2]. Der Plattenspieler ist allerdings nicht in Betrieb dargestellt, die Nadel ruht neben der Platte. Die damit im Bild auch visuell verdeutlichte Stille verweist so noch pointierter auf die Abwesenheit seines Besitzers[3] sowie auf das Verstummen der historischen Zeugnisse[4]. Die Malerei macht damit das Fehlen von Sprache und Tönen sichtbar[5]. Die Spuren seines Lebens sind zwar immer noch präsent in den Besitztümern des Toten, und als solche auch bildlich darstellbar, der Mensch selbst aber ist durch den Tod unwiederbringlich verloren[6].
Der Plattenspieler in Baaders Zelle rief im öffentlichen Bewusstsein zudem verschiedene Konnotationen hervor. Zum einen verweist er auf die hitzig geführten Diskussionen um die Haftbedingungen der RAF[7]. Die festgesetzten Terroristen waren anfangs noch in Isolationshaft, hatten sich aber sehr medienwirksam unter anderem mit Hungerstreiks gegen diese gewehrt, sodass ihnen Hafterleichterungen gewährt wurden. Dazu gehörten sowohl Zugeständnisse im Tagesablauf wie die Erlaubnis zum Ausgang im Gefängnishof und private Gespräche untereinander als auch persönliche Annehmlichkeiten wie Bücher und Musik[8]. Gerade Andreas Baaders Plattenspieler war nach dem kollektiven Suizid zum anderen aber auch zum Synonym für die Selbstmorde und die Unfähigkeit des Staates, einen angemessenen Umgang mit den Gefangenen zu finden, geworden. In einem versteckten Fach im Gehäuse des Plattenspielers war die Waffe versteckt gewesen, mit der Baader sich erschoss, Beweis für die Durchlässigkeit der Gefängnismauern und gleichzeitig Memento mori[9]. Der Plattenspieler verweist weiterhin auch auf den Umstand, dass manipulierte elektronische Geräte, und besonders die Musikanlagen, von den Häftlingen zu einem Funksystem umgebaut worden waren und für die unerlaubte Kommunikation zwischen den Zellen genutzt wurden. Auch diese Tatsache wurde in der Öffentlichkeit erst nach den Todesfällen in Stammheim bekannt[10].
Das Originalfoto ist auch hier, wie bei der Vorlage für Zelle [WVZ: 670], eine Farbfotografie. Darauf ist die aufgelegte Platte zu erkennen, Eric Claptons There’s One in Every Crowd von 1974[11]. Informationen wie diese verschwinden in Richters Gemälden allerdings unter der malerischen Verwischung. Dieses Gemälde gibt nur vor, Details über Andreas Baaders Person erzählen zu können, während es in Wirklichkeit den Plattenspieler lediglich als Stellvertreter für die Persönlichkeit Baaders, die Diskussionen und die Verschwörungstheorien, die den Fall Stammheim umgaben, zeigt[12].
Dabei ergreift Richter keinerlei Partei, wobei er auch betont, dass es ihm weniger um eine detailgenaue Darstellung als um eine Wiederaufnahme des Themas und um eine Neubetrachtung geht: „Was habe ich gemalt. [...] – einen stummen, grauen Plattenspieler – [...] Ich bin nicht so sicher, ob die Bilder ‚fragen’, eher provozieren sie Widerspruch wegen ihrer Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit, wegen ihrer Unparteilichkeit.“[13]
[1] Robert Storr (Hg.): Gerhard Richter. October 18, 1977. The Museum of Modern Art, New York, 2000. S. 106.
[2] Ortrud Westheider: Eine Idee, die bis zum Tod geht. Der Zyklus “18. Oktober 1977”. In: Uwe M. Schneede (Hg.): Gerhard Richter. Bilder einer Epoche. [Ausst.-Kat.] Bucerius Kunst-Forum, München, 2011. S. 174.
[3] Storr 2000, S. 107.
[4] Martin Henatsch: Gerhard Richter – 18. Oktober 1977. Das verwischte Bild der Geschichte. kunststück. Fischer, Frankfurt (Main), 1998. S. 79.
[5] Birgit Richard: Todesbilder. Kunst, Subkultur, Medien. Wilhelm Fink, München, 1995. S. 234.
[6] Storr 2000, S. 107.
[7] Westheider, 2011, S. 160 f.
[8] Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex. 3. Aufl. Hoffmann und Campe, Hamburg, 2008. S. 384 ff.
[9] Westheider 2011, S. 161.
[10] Stefan Aust, Helmar Büchel: “Der letzte Akt der Rebellion”. In: Der Spiegel, Nr. 37, 2007. S. 68 ff.
[11] Storr 2000, S. 117.
[12] Achim Borchardt-Hume: “Dreh Dich nicht um” – Richters Bilder aus den späten 1980er-Jahren. In: Mark Godfrey, Nicholas Serota, Dorothée Brill, Camille Morineau (Hrsg.): Gerhard Richter. Panorama. [Ausst.-Kat.] Neue Nationalgalerie Berlin, München, 2012. S. 169.
[13] Notizen November 1988 (für die Pressekonferenz Februar 1989 – Museum Haus Esters, Krefeld). In: Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008. S. 206 f.
Notiz erstellt von der Redaktion
The Museum of Modern Art (MoMA), New York, USA
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